Meine Olympia-Eiche in Schönlanke



ein Bericht von Gerhard Stöck aus dem Jahr 1958


Die Sieger bei den olympischen Spielen von 1936 in Berlin erhielten neben der Medaille eine kleine Eiche.
Meine Olympia-Eiche aus dem Jahre 1936 hatte ich in den Garten meines Elternhauses in Schönlanke gepflanzt.
Mein damals noch lebender Vater hat sie dann bis Kriegsende in rührender Weise gepflegt und gehegt und sie sogar entgegen vielen anderen Bäumen unseres Gartens über den sagenhaft kalten Winter 1941 gerettet, so daß ich im Jahre 1943, als ich von der Stalingradfront zurückkehrte, einen schönen kräftigen Baum von etwa 2 Meter Stammhöhe und 6 Meter Spitzenhöhe zu meiner großen Freude vorfand.

Mit Kriegsende und dem Verlust unserer Heimat riß dann jegliche Verbindung zu dem Werden und Wachstum meiner Eiche ab.

Irgendein aus Schönlanke zurückgeführter Bürger berichtete mir in der Zwischenzeit, die Soldaten hätten in den Gärten und Höfen unserer Häuser fürchterlich gehaust und Bäume und Zäune abgeschlagen, um Brennholz zu haben.
So fand ich mich folglich schon mit dem Gedanken ab, die Olympia-Eiche könnte ein Opfer dieser traurigen Umstände geworden sein.



Schönlanker Fußballmannschaft; zweiter von links: Gerhard Stöck

Kurz bevor ich nach Melbourne flog, wurde ich im Rundfunk interviewt und u.a. in Erinnerung an meine eigenen olympischen Erfolge von dem Reporter nach dem Verbleib meiner Olympia-Eiche gefragt.
Ich sagte damals, daß mich doch ein wenig Wehmut überkomme, meine Gedanken um diese Eiche zu äußern, die ich letztmalig 1945 als schönen Baum gesehen hätte von dem ich leider nun nichts mehr wisse, was aus ihm geworden sei, nachdem mein Heimatort in "Polen" läge.


Dieses Rundfunkgespräch ging einem deutschen Zwangsdepotierten, der in der Nähe Posens lebte, scheinbar doch zu Herzen, denn als ich aus Melbourne zurückkehrte, fand ich einen Brief des Mannes vor, der mir anbot, da er sich in Polen frei bewegen könnte, mir eine Freude zu machen, nach dieser Eiche Ausschau zu halten, wenn ich ihren Standort nennen würde.
Nun ich beschrieb die Lage meines Elternhauses und den Standort der Eiche im elterlichen Garten in Schönlanke. Gleichzeitig leitete ich seinen Brief an das Auswärtige Amt weiter, um für den Schreiber die Ausreise aus Polen zu erwirken.

Vor einiger Zeit erhielt ich nun einen in beider Hinsicht hoch erfreulichen Brief aus einem Ort bei Münster. Jener zwölf Jahre in Polen zurückgehaltene Mann war also auf Grund meines Antrages bei seinen Eltern gelandet.
Gleichzeitig aber beschrieb er mir in sehr eindrucksvoller Weise den vorher erledigten Besuch meiner Heimatstadt und berichtete zugleich über die Eiche, die nun tatsächlich noch im Garten meines Elternhauses steht. Sie hat inzwischen alle Widerwärtigkeiten überstanden; sie ist glücklicherweise nicht abgeholzt und verfeuert worden, sondern sie steht nach wie vor - nunmehr ein 12 m hoher Baum - im elterlichen Garten.

Bei dieser Nachricht empfand ich trotz des Getrenntseins Freude und Hoffnung zugleich; die Freude, daß sie noch "lebt", und Hoffnung, daß man sie - so oder so - vielleicht doch noch einmal wiedersehen kann.
Hoffentlich ändern sich die Verhältnisse recht bald, so daß man freizügig und unbeschwert reisen könnte. Es würde diese Reise für mich eine wahre olympische Wallfahrt bedeuten, auf die ich mich sehr freue.

Wie schön, wenn man wissen könnte, was aus all den Siegereichen von 1936 in der Zwischenzeit wohl geworden ist. Man könnte gerade zu einer Liste Maßangaben aufstellen, um danach festzustellen, welchem Olympioniken wohl die Naturkräfte inzwischen bezüglich der Eichengröße, Stärke und Schönheit den Sieg beschert haben.


Anmerkung: Gerhard Stöck wurde am 28.07.1910 geboren, er starb in Hamburg am 29.03.1985.
In Berlin errang er im Speerwerfen mit 71,84 m die Goldmedaille. Darüber hinaus holte er sich im Kugelstoßen mit 15,76 m noch die Bronzemedaille.
Ob Gerhard Stöck in den Jahren der politischen Entspannung in Schönlanke war um sich seine Eiche anzuschauen, ist nicht bekannt. Heute, steht die Olympia-Eiche nicht mehr. In den Gärten, die zwischen der Linden- und Posenerstraße angelegt waren, erheben sich große Wohnblocks mit einer Hauptstraße und entsprechenden Zufahrtsstraßen.

 


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